Datum: 21. – 22. September 2021
Weg nach Kukës
Über die SH5 geht es für uns von etwas nach Fushë-Arrëz in Richtung Kukës. Die Stadt Kukës ist das Zentrum des Nordosten von Albanien. Die zu Beginn noch abwechslungsreiche Strecke verwandelt sich schnell in eine für mich anstrengende Strecke. Die zu fahrenden 90 Kilometer ziehe sich hin wie schon lange nicht mehr, nicht weil es eine schwierige Strecke ist, sondern einfach weil die vielen kleinen Kurven um die verschiedenen Hügel kaum eine Ende nehmen. Das erste Mal seit langem erlebe ich eine Strecke als langweilig, Flo schläft auf dem Beifahrersitz sogar ein.
Gibt man die genannte Strecke im Navi ein, würde dieses auch nicht die SH5, sondern die etwas längere (knapp 100 Kilometer) aber wohl schnellere Strecke über Reps vorschlagen. Ab da würde dann die ausgebaute Autobahn die Fahrt wohl deutlich angenehmer gestalten, wir bleiben aber nach wie vor beim Ansatz, möglichst nicht Autobahn zu fahren.
Kukës
Gemäss unserem Reiseführer zieht es kaum Reisende in die Stadt Kukës. Sie habe kaum Sehenswürdigkeiten zu bieten und erlebe eine grosse Abwanderung, denn die Region gehöre zu den Ärmeren in Albanien. Die ursprüngliche Stadt und 17 Dörfer wurden vor Jahren geflutet zugunsten des Stausees. Bekannt wurde die Stadt, als sie während dem Kosovokrieg zahlreiche Flüchtlinge aufnahm. Eigentlich hätte Kukës einen funktionsfähigen Flughafen „Zayed Airport“, ein Bau finanziert durch die Vereinigten Arabischen Emiraten, jedoch wurde er nie richtig in Betrieb genommen, da nach wie vor alle internationale Flüge nach Albanien über den Flughafen Tirana gehen müssen. Der Flugverkehr fand trotzdem statt, denn findige „Geschäftsleute“ nutzten Gerüchten zufolge den Flughafen für den Transport von Drogen.
Wir schlendern durch die Strassen und werden nach kurzer Zeit mit einem aufgestellten „Hallo, sprecht ihr Deutsch?“ begrüsst. Ein junger Mann, welcher momentan in Deutschland lebe, verwickelt uns in ein Gespräch und fragt sich, was wir in dieser Region machen, es gäbe doch viel schönere Städte an der Küste wie zum Beispiel Sarandë. Als wir ihm sagen, dass wir gerne da sind beziehungsweise einfach auf uns zu kommen lassen, was wir in dieser Region erleben dürfen, erzählt er stolz, dass momentan gerade die Schlenderstrasse neu gemacht werde und empfehlt uns zu gleich ein Kaffee, welches wir dann auch besuchen.
Unser Besuch in dieser Stadt ist nur von kurzer Dauer, da wir vor der Dunkelheit in der Umgebung von Shishtavec einen Übernachtungsplatz suchen wollen.
Novosejë und Shishtavec
Die Dörfer Novosejë und Shishtavec liegen an der Grenze zum Kosovo. Die Mehrheit der Bewölkerung zählt sich zu den Goranen, eine muslimische und slawischsprachige Minderheit. Bis 1978 war die Gegend komplett von der Aussenwelt abgeschnitten. Heute ist die Strasse bis Shishtavec geteert. Durch die lange Abgeschiedenheit entwickelten sich viele eigene Traditionen und Rituale. In der Region wird mehrheitlich Kartoffel angebaut und ausgewanderten Angehörige unterstützen ihre Familien finanziell. Gemäss unseren verschiedenen Reisebüchern bestehen sowohl in Kukës wie für die Region Novosejë und Shishtavec Ideen, die schönen Landschaften und Wandermöglichkeiten mehr für den Tourismus zu öffnen.
Es ist schon späterer Nachmittag und das Wetter verschlechtert sich. Doch wir haben Glück und wir können die beiden Dörfer eingebettet in der Landschaft noch erblicken, vor sich schon bald alles in Nebel hüllt.
Nahe vom regionalen Grenzübergang zum Kosovo finden wir einen geeigneten Übernachtungsplatz. Es ist dunkel und auch mit der Taschenlampe sehen wir draussen kaum etwas, ist der Nebel nun so dick geworden. Irgendwann fahren die Grenzbeamten mit ihrem Auto zu uns, kontrollieren die Ausweise und fragen nach unseren Plänen. Als sie diese hören, dass wir morgen Vormittag wieder weg sind, ist alles in Ordnung und sie wünschen uns einen schönen Abend.
Unser Tag startet mit einem Rundgang im Dorf Shishtavec mit der Idee, dort einen Kaffee zu trinken. Doch die zwei Lokale, welche wir entdecken, wirken noch sehr traditionell: Es sind nur Männer drin und so bleiben wir bei unserem Schlenderrundgang.
Zwischen Novosejë und Shishtavec haben wir am Tag zuvor ein Kaffee gesehen, welches wir nun ansteuern, um abzuwarten, ob sich die dicke Nebeldecke doch noch etwas lockert.
Offroadstrecke mit Start ab Shishtavec
Wir entscheiden uns dann doch loszufahren und eine erste Etappe der 34 Kilometer lange Strecke zurückzulegen (Streckendetails siehe im Offroadguide von Hobo-Team). Wir wollen unsere Tour durch diese abgelegenen Orte Albaniens mit einer Wanderung auf den Kallabak (Maja E kallabakut) verbinden. Der Berg gehört zum Sharr-Gebirge. Anscheinend wurden in der Zeit des Kommunismus an den Hängen des Berges die Landesmeisterschaften von Albanien im Skifahren ausgetragen. Bis heute gibt es hier keinen Ski-Lift. Als ich mich später in der Region umblicke, kann ich mir schon vorstellen, dass es hier im Winter sehr schön aussehen könnte.
Shishtavec bis Turaj
Der Nebel verhüllt die Umgebung und so bleibt das Meiste bis zum Dorf Turaj für uns im Verborgenen. Etwas oberhalb von Turaj platzieren wir uns auf einem gemütlichen Platz nahe der „Strasse“ mit dem Ziel, morgen die Wanderung machen zu können. Es ist kalt und so ziehen wir uns in den Van zurück, lesen uns aus dem gemeinsamen Buch vor, hören Musik und sortieren Fotos aus.
Begegnungen und Erlebnisse in Turaj
Ab und zu dürfen wir Beobachtende werden, wie eine Herde Ziege oder Kühe in die eine oder andere Richtung begleitet werden. Oftmals klingen auch Sprachlaute aus dem kleinen Dorf über das Echo zu uns. Die wenigen Menschen scheinen wenig interessiert an unserem Bus zu sein, sondern wirken vertieft in ihre alltäglichen Arbeiten.
Am nächsten Morgen bereiten wir unser Frühstück vor dem Bus vor, obwohl es nach wie vor kalt und neblig ist. Wir sind nun doch schon eine Weile an diesem Platz und wollen nicht einfach als Beobachtende da sein, sondern sichtbarer. Und es vergehen nur wenige Minuten und ein junger Mann, der uns noch nicht gesichtet hat, studiert von etwas weiter weg unseren Bus. Flo geht auf ihn zu und begrüsst ihn. Der junge Mann traut sich langsam näher und mit Händen und Füssen werden nun Namen und Alter ausgetauscht.
Nur kurze Zeit später gesellen sich ein ältere Mann und eine ältere Dame (seine Eltern?) dazu. Im Gegensatz zum jungen, doch ziemlich schüchternen Mann, zeigt die ältere Dame ihre Neugier und Interesse direkt und befasst sich sofort mit unseren Gegenständen im Bus. Sie entdeckt die Tassen „Kafa?“ (Kaffee), wir bejahen, dann die Müesliflocken „Chai?“ (The), wir verneinen, sie hebt die Pfannen auf und scheint sie als gut zu empfinden (Daumen hoch) – so geht es mit einigen Gegenständen weiter.
Irgendwann entdeckt sie unseren Wäschesacke, auf welchem die Weltkarte gezeichnet ist und sie beginnt sofort mit dem Finger auf verschiedene Orte zu zeigen und nennt Namen aus dieser Region. Wir holen unsere Albanien Karte raus, zeigen auf der Weltkarte, wo Albanien und wo auf der detaillierteren Karte Turaj ist. Das auf unserer Karte ihr Dorf notiert und von uns umkreist ist, scheint sie sehr zu freuen. Irgendwann schauen die drei uns mit fragenden Blicken an. Wir deuten dies, dass sie sich fragen, warum wir hierher kommen. Wir nennen den Namen des Berges und versuchen mit Gesten zu zeigen, dass der Nebel unsere Pläne durchkreuzt. Mit Nicken bestätigen sie dies, zeigen uns ihre Freude, wir ihnen unsere und dann kommt es zum Abschied.
Wir warten noch etwas. Zunehmend löst sich der Nebel langsam auf, aber der Gipfel des Kallabak ist nach wie vor in Nebel gehüllt. Die Reaktion der Menschen des Dorfes haben unseren Verdacht bestärkt, heute wird sich der Berg wohl nicht mehr zeigen. Wir beschliessen, weiter zu ziehen, nehmen wir nun andere Erfahrungen und Begegnungen in unserem Reiserucksack mit – und es wird heute nicht die letzte sein.
Hochebene nach Turaj
Nach dem Dorf Turaj kommen wir bald auf eine Hochebene: Wow! Wunderschöne, fast unwirkliche Weite empfängt uns. Die Sonne scheint, der Wind bläst eisig. Hier gestaltet sich die Strasse angenehm. Waren im ersten Teil noch einige Auswaschungen und Schlammstellen, ist es hier im Verhältnis sehr ausgeglichen.
Begegnungen auf der „Hochebene“
Auf einer „Kreuzung“ hier irgendwo im gefühlten Nirgendwo sehen wir von Weitem plötzlich drei winkende Kinder. Wir stoppen und steigen aus. Aus der steppenartigen Umgebung kommen sie uns entgegen: Ein Mädchen auf einem Maultier und ein Junge mit einer Ziege. Das dritte Kind, ein Junge, ist noch weiter hinten, sein Schaf will anscheinend momentan nicht weiter gehen. Irgendwann schafft auch er es zu uns allen.
Wir tauschen Namen aus und öffnen die Türen, damit sie reinschauen können. Nahe gehen sie nicht, werfen nur einen scheuen Blick rein, mustern uns dann aber neugierig. Irgendwann zeigt der Junge mit der Ziege auf sich und die anderen beiden: „Albania“. Dann schaut er uns an und fragt „You, Africa?“. Wir müssen uns ein Schmunzeln verkneifen, hätten wir wohl am wenigsten mit dieser Zuordnung gerechnet, sind aber auch froh, können wir Schweiz auf Albanisch sagen. Wir scheinen für diese Kinder wohl einfach von sehr weit weg herzukommen.
Nach einer gewissen Weile ziehen die drei Kinder mit ihren Tieren in die eine, wir mit unserem Bus in die andere Richtung. Ich kann mir nicht vorstellen, wie ihr Alltag aussieht, was sie in ihrem Leben machen, aber ihre wachen und interessierten Blicke und Gesichter werden mir immer in Erinnerung bleiben.
Fahrt bis Kolesjan
Kurz bevor es wieder „runtergeht“, fahren wir an wenigen häuserähnlichen kleinen Gebäuden vorbei. Menschen sehen wir keine, bis auf eine ältere Frau und einen älteren Mann in einem gartenähnlichen Gelände.
Beim Abstieg wird die Strecke wieder anspruchsvoller, treppenartiger und einmal eine Schieflage die unsere Herzen doch etwas höher schlagen liess. Die Umgebung zieht unsere Aufmerksamkeit nicht wirklich auf sich begleiten uns nun mehrheitlich Sträucher auf beiden Seiten.
Wow – diese Strecke war sowohl landschaftlich wie von den Begegnungen für uns wunderbar und unvergesslich. Wir sind froh, sind wir so weit in den Nordosten von Albanien gefahren und nehme diesen Teil in unseren Eindrücken zu diesem Land mit.
Und es geht Offroadmässig weiter
Bei Kolesjan kommen wir auf die geteerte Strasse Kukës-Peshkopi. Nur 6 Kilometer weiter nördlich werden wir eine nächste Offroad-Etappe starten: Die Strecke der schwarzen Drin entlang. Doch zu erst decken wir uns mit einigen Nahrungsmitteln aus einem kleinen Laden in Bicaj ein und dürfen in Kolesjan bei einem Kaffee unsere Wassertanks auffüllen.
Übernachtungsorte: 21.09. Umgebung Shishtavec / 22.09. Umgebung Turaj