Datum: 14. Juni – 16. Juni 2022
Es wird Zeit für Geschichte und Wirtschaftsfragen
Als wir in der Hauptstadt von Armenien einreisen, wird uns bewusst, dass wir mittlerweile schon zwei Wochen in Armenien unterwegs sind, jedoch noch wenig über die Gegebenheit in diesem Land wissen. Dies soll sich in den nächsten Tagen ändern. Wir wollen unser geschichtliches Wissen vertiefen und nochmals dem Thema nachgehen, ob 300 Dollar wirklich das Durchschnittseinkommen in Armenien widerspiegelt. Mit dieser Frage geht folgende Frage mit einher: Wenn das so ist, wie können die Menschen hier überleben?
Yerevan begrüsst uns mit Sonne und Lebendigkeit. Eine Stadt, die auf uns auf den ersten Blick sehr europäisch und städtisch wirkt. Der Unterschied des bisher gesehenen in Armenien gegenüber dem Erscheinungsbild von Yerevan erleben wir als gross. Doch mit jedem Schritt, welchem wir in dieser Stadt machen, bewegen wir uns mehr in diesem Hin- und Her von Geschichte und Heute: Sowjetbauten, Luxusgeschäfte, Künstlerviertel, Strassenlärm und hippe Restaurants.
Neben dem individuellen recherchieren und herumschlendern, schliessen wir uns einer Free Walking Tour an. Als wir 2015/2016 mit dem Rucksack unterwegs waren, nutzten wir diese Möglichkeit in Städten oft, um einen ersten Überblick zu erhalten, diverse Informationen erzählt zu bekommen und entstandene Fragen stellen zu können. Wir wussten von anderen Reisenden, dass die Tour hier in Yerevan etwa drei Stunden dauert, was für unseren Geschmack etwas zu lang ist, aber wir entschliessen uns doch für eine Teilnahme.
Am Ende dauert die Tour über vier Stunden, was uns beiden deutlich zu viel war, doch das eine oder andere konnten wir so entdecken oder nutzen wir nun als Anregung für vertiefte Recherchen. Beginnen wir mit der Geschichte Armeniens.
Geschichte Armeniens
Schon vor der Einreise in das Land wusste ich, die Grenzen zwischen Armenien und der Türkei sind seit Jahren geschlossen, es gibt russische Truppen und es besteht Krieg zwischen Armenien und Aserbeidschan unter anderem aufgrund der Region Karabach. Doch eigentlich muss ich sagen, ich habe keine Ahnung. Es ist Zeit für etwas Geschichte, um dann überhaupt etwas in diesem Land verstehen zu können oder eine Reaktion eines kleinen Jungens auf dem Land, „Die Türken töten dich“, einordnen zu können.
Wie so oft liegt auch diesem Land eine lange Geschichte vor. Ich versuche jedoch, in einigen Worten eine kurze Zusammenfassung zu geben, ohne Anspruch auf Vollständigkeit und Ausarbeitung aller Etappen und Veränderungen. Ich habe mich vor allem auf folgenden Seiten nochmals eingelesen und die meisten Informationen stammen von hier: https://www.laender-lexikon.de/Armenien_Geschichte und https://www.genocide-alert.de/projekte/deutschland-und-massenverbrechen/armenien/
Die Geschichte startet vor 3’000 Jahre, doch ich beginne bei knapp 200 Jahre v. Chr. Ab diesem Moment sei der Start des eigenständigen armenischen Reiches gewesen, welches sich für einen gewissen Zeitraum bis zum Mittelmeer und dem Kaspischen Meer zog, jedoch Streitobjekt zwischen den Römern und Persern blieb. Zuerst setzten sich die Sassaniden (Perser) durch. Sie wurden aber kurzzeitig wieder vertrieben. 301 n. Chr. wird das Christentum zur Staatsreligion ernannt. Diese blieb auch erhalten, als wieder die Römer und die Sassaniden die Herrschaft übernahmen und das armenische Reich unter sich aufteilten.
Ab dem 7. Jahrhundert übernahmen die Araber die Oberherrschaft bis 855 das selbstständige Königreich gegründet wird. Danach folgten diverses Wechsel. Ende des 18. Jahrhunderts übernahm das russische Zarenreich die armenischen Gebiete der Perser. Der Rest blieb im Besitz des Osmanischen Reiches. Im Ersten Weltkrieg kamen weitere Gebiete unter die Besetzung der russischen Truppen. 1918 erklärte Armenien seine Unabhängigkeit und wurde zwei Jahre später wieder von den russischen Truppen besetzt. Ab 1922 zählte es zur UdSSR und wurde mit dem heutigen Georgien und Aserbeidschan zusammengefasst. Der Türkisch-Armenische westliche Teil gehörte ab 1923 zur Türkei. Es folgten Aufstände, die blutig unterdrückt wurden, Verfolgungen, Sowjetisierung und Säuberungsaktionen.
Genozid
Der Völkermord an den Armeniern zwischen 1915 und 1922 wurden vom Tribunal der Völker, vom europäischen Rat und von den Vereinten Nationen bestätigt. Das Osmanische Reich wurde zwischen 1913 und 1918 vom jungtürkischen Komitee für Einheit und Fortschritt regiert mit dem Ziel, den Zerfall zu verhindern, die eigene Macht zu sichern und ein türkisch muslimisches Osmanisches Reich zu sein. Am 25. April 1915 wurden Mitglieder der armenischen Elite im jetzigen Istanbul festgenommen. Es war der Start von vielen weiteren Festnahmen und Verschleppungen und wurde ab Ende Mai eine systematische Vertreibung der Armenier: Folterung, Tötung, Umsiedlung in die syrische Wüste, Vertreibung und Massakern. Während dem Genozid durch das Osmanische Reich starben um die 1.5 Millionen Menschen. Detailliertere Informationen wie auch Bewertungen der Situation sind zum Beispiel hier als Überblick zum Nachlesen: https://de.wikipedia.org/wiki/V%C3%B6lkermord_an_den_Armeniern#Bedeutung_f%C3%BCr_die_Armenier.
Berg Karabach
1936 wurden Armenien, Georgien und Aserbeidschan eigenständige Sowjetrepubliken. Die Region Karabach, die überwiegend von Armeniern bewohnt war, und die Region Nachitschwan gingen an Aserbeidschan. Durch Umsiedlungen von Armeniern in andere Sowjetrepubliken leben noch heute 1.5 Millionen Armeniern in Nachfolgestaaten der Sowjetunion.
1988 erklärte die Region Karabach ihre Unabhängigkeit und der Krieg zwischen Aserbeidschan und Armenien brach aus. 1991 erklärten beide Länder ihre Loslösung von der UdSSR und Armenien schloss sich der GUS an. Am 21. September 1991 entstand anhand der Unabhängigkeitserklärung die heutige Republik Armenien. Während die armenische Führung die armenischen Gruppen in Berg-Karabach mit Lieferungen unterstützte, verhängte Aserbeidschan ein Wirtschaftsembargo gegen Armenien. Die Türkei schloss sich diesem an. In Armenien wird der Notstand ausgerufen. 1994 kommt es zu einem vermittelten Waffenstillstand. Am 27. September 2020 eskalieren die schon im Juni gestarteten Kämpfe und es folgt eine grossräumige Auseinandersetzung. Im November 2020 kommt es erneut zu einer vermittelten Waffenstillstandsvereinbarung durch Russland, um die direkten Kampfhandlungen zu beenden. Der Konflikt verwandelte sich im Jahr 2021 in einen Grenzkonflikt zwischen Armenien und Aserbeidschan. Seit dann kommt es regelmässig zu gewalttätigen Handlungen entlang der gemeinsamen Staatsgrenze und in der Region Karabach.
Ein interessanter Podcast, welchen wir während unserer Zeit in Armenien gehört haben, findet ihr hier: Mit dem Rücken zur Wand – Armenien nach dem verlorenen Krieg
Durchschnittseinkommen
Schon in Dilijan versuchten wir unserer Frage, wie bewältigen die Menschen finanziell hier ihr alltägliches Leben, auf den Grund zu gehen. Die Dame im Touristeninformationsbüro bestätigte uns, dass das Durschnittseinkommen bei etwa umgerechnet 300 Euro liege. Lösungen zum Leben seien, dass oft jedes Familienmitglied einer Arbeit nach geht und gemeinsam gewohnt wird. Doch es gäbe viele Menschen, bei welchen auch dann das Geld nicht ausreiche. Es gibt eine finanzielle Unterstützung des Staats, doch dies reiche oft nicht aus. Wie diese Menschen dies machen, wisse sie auch nicht, aber irgendwie schaffen sie es.
In der Free Walking Tour hacken wir nach. Hier erhalten wir eine weitere Information. Meist übernimmt ein Familienmitglied die Rolle, in einem anderen Land zu leben, dort zu arbeiten und dann Geld in die Heimat zu schicken. Es fliesse viel Geld vom Ausland nach Armenien, mit welchem die Menschen hier ihr Leben mitfinanzieren. Besteht in einer Familie diese Möglichkeit nicht, haben diese es sehr schwer und essen meist extrem ungesund und nur wenig – anders ist es nicht möglich.
Ob diese zwei Erläuterungen nun der Mehrheit entspricht, ist schwer zu sagen. Es gibt für mich aber ein Bild, wie es sein könnte, aber ich weiss nach wie vor nicht, was es wirklich für den einzelnen Mensch bedeutet.
Geselligkeit, Taxiapp und Gesundheit
Nebst der geschichtlichen Vertiefung läuft unser Alltag weiter: Wir geniessen ein erneutes „Schweizer Treffen“ mit Eli, Beni, Chiara und Beni, welche wir beim Shaki Wasserfall Stellplatz kennengelernt haben. Wenn wir nicht gerade das gesellige Zusammensein geniessen, ärgern wir uns doch das eine oder andere Mal über die Taxi-App „Utaxi“. Eigentlich wirkt sie gleich aufgebaut wie die Uber-App, jedoch funktioniert anscheinend das GPS auf der Karte schlecht, Taxifahrende verfahren sich, die Preise ändern plötzlich oder es erscheint niemand.
Seit längerem beschäftigt uns mein Gesundheitszustand. Seit dem Iran leide ich immer wieder mal über starke Bauchschmerzen gefolgt mit migräneartigen Kopfschmerzen. Der Check in einer sehr modernen Arztpraxis mit perfekt englischsprechender Praxishilfe gibt grünes Licht: Ultralschall ist in Ordnung, die Werte stimmen und es seien womöglich die wechselnden Nahrungsmitteln. Ich bin mir nicht sicher, ob mir dies Antwort ausreicht, doch es entlastet mich trotzdem. Und so können wir mit beruhigtem Gefühl uns zu unserem nächsten Ziel aufmachen: Die Provinz Ararat.
Die letzte Info für heute: Wir sind nun seit einem Jahr unterwegs.
Übernachtungsorte: 14.-16.06. Umgebung Yerevan