Armenien, Arevatsag Schlucht und Haghpat

Datum: 25. Juni – 26. Juni 2022

Wenn der Fluss über die Ufer tritt

Die letzten Tage in Armenien stehen uns bevor, wir sind mittlerweile über drei Wochen in diesem Land unterwegs. Das Wetter soll unbeständig bleiben. Das wir uns bald aus einer Überschwemmung retten müssen, sind wir uns auf der heutigen Fahrt Richtung Norden nicht bewusst.

Das Abenteuer beginnt mit der Fahrt zur Arevatsag Schlucht

Unser heutiges Ziel ist die Arevatsag Schlucht – einen Tipp, welchen wir von anderen Reisenden erhalten haben. Bei der Ortschaft Dzoragyugh biegen wir links ab. Auf unserer Navigationsapp zeigt es eine normale Strasse an, doch wir wissen bereits, dass uns eine nicht ausgebaute Strasse erwarten wird. So eben noch Teer unter den Rädern, besteht der Untergrund nun aus Kies und Asphaltteilen, geschmückt mit diversen grösseren Löchern. Der Weg ist schmal und schlängelt sich steil den Berg hoch. Wir sind von grün umgeben, ganz selten entdecken wir hinter dem fast tropenartigen Dickicht ein aus holzgebautes Häuschen. Irgendwann erreichen wir die Hochebene, um dann nur wenige Minuten die enge und ausgewaschene Strasse Richtung Arevatsag Schlucht einzuschlagen.

Ein Willkommensschnaps und die Ruhe vor dem Sturm

Kleine, heute schlammige Wege führen vom „Hauptfeldweg“ an die tiefer gelegene Wiese direkt am Fluss. Mit Ausblick auf den mächtigen Felsen quartieren wir uns auf der Wiese ein. Trotz bewölktem Wetter lässt es sich erahnen, wie gemütlich und idyllisch dieser Ort wohl bei Sonnenschein sein könnte. Heute sind neben uns drei Fischerduos am Fluss verteilt. In aller Ruhe und mit alkoholhaltigen Getränken gehen sie ungestört ihrer Tätigkeit nach. Nach einer Weile kommen zwei auf uns zu, begrüssen uns und mit einem grossen Schluck Schnaps wird auf das Zusammentreffen angestossen. Sie werden die ganze Nacht fischen, wenn wir etwas benötigen, können wir jederzeit auf sie zu kommen. Während die beiden sich wieder den Fischen widmen, spazieren wir entlang des Flusses und treffen auf ein Paar, welches etwas jünger ist als wir. Sofort bieten sie uns von ihrem Nachtessen an und fragen uns erstaunt, wie wir an diesen Ort gelangt seien. Sie seien aus Yerevan und das erste Mal hier. In Armenien spreche sich dieser Ort herum, doch Menschen aus einem anderen Land hier anzutreffen überrasche sie. Langsam beginnt es zu dämmern und die ersten Regentropfen zeichnen Abdrücke auf unseren Kleidern. Wir verabschieden uns von den beiden, die noch heute zurück nach Yerevan fahren.

Eine Gruppe Männer mit drei Autos kommen über die kleinen Matschwege an. Ein Weg führt durch eine kleine Grube. Wir haben uns aufgrund der nassen Unterlage und des Wassers, welches vom Fluss leicht reinfliesst gegen eine Überfahrt entschieden. Wir waren uns nicht sicher, ob wir wieder zurückkommen würden, wenn das Wasser auch nur leicht ansteigen würde. Die Gruppe schaut es sich kurz an und schon fährt das erste Auto auf die Grube zu. Konnte dieser Fahrer sein Fahrzeug knapp in Sicherheit bringen, bleibt das zweite sofort mitten in der Grube stecken. Irgendwie scheinen sie das Auto raus zu bekommen und hinterfragen wohl ihren Plan, den das erste Auto nimmt schon wieder Anlauf, um wieder auf die andere Seite zu kommen. Nochmals kommt er knapp durch, der andere bleibt wieder stecken, schafft es aber erneut wieder raus. Mit verschlammten Autos, nasser Kleidung und wohl dem einen oder anderen Autoteil weniger verlässt die Gruppe das Areal wieder. Starker Regen setzt ein und wir ziehen uns in unser gemütliches Zuhause zurück.

Das Wasser umringt uns

Es regnet die ganze Nacht, doch der Morgen begrüsst uns mit Sonne. Ein Blick nach draussen zeigt, dass wir noch die Einzigen vor Ort sind. Leichte Nebelschwaden umringen das Tal, es gibt blaue Stelle am Himmel und die Sonnenstrahlen scheinen warm auf unsere Gesichter. Es wirkt, als wären wir in den Tropen gelandet.

Doch nur kurz versinken wir in dieser Stimmung, den der Blick auf das Wasser um uns herum lässt die Warnglocken in uns starten. Die Wiese von gestern ist übersät mit grossen Wasserstellen, die Wege sind nur noch stückweise erkennbar. Die Idee, die Sonne unsere Umgebung abtrocknen zu lassen, müssen wir schnell wieder überschlagen. In unglaublichem Tempo steigt das Wasser um uns herum weiterhin an. Überall sehen wir, wie sich schon grössere Pfützen gebildet haben und der Boden ist durch den Regen und das steigende Wasser extrem schlammig geworden. Flo erkundet kurz die Gegend und als er zurück kommt ist klar: Wir müssen los. Es gibt bereits jetzt nur noch einen Weg zurück auf den Feldweg, die anderen Wege sind bereits zu tief im Wasser.

Wenn wir dort stecken bleiben, sehe ich uns innerlich schon von unserem Mitsu verabschieden. Flo setzt sich ans Steuer, lenkt uns Richtung Wasserschlammweg, der Waagen schlenkert auf dem nassen Untergrund hin und her, die Durchfahrt durch das Wasser lässt den Motor aufheulen, trotz Vollgas verlangsamt sich die Geschwindigkeit – doch weiterhin erfassen die Räder immer wieder Wiederstand und wir gelangen auf den erhöhten Feldweg. Nun, in Sicherheit vor dem steigenden Wasser, können wir bei einem Kaffee beobachten, wie innerhalb von 30 Minuten der von uns durchfahrene Weg nach und nach vom Wasser erfasst wird.

Provinz Lori

Erleichtert, ist nochmals alles gut gegangen, geht es für uns weiter durch die nördliche Provinz Lori. Kurz vor Alverdi treffen wir wieder auf die Hauptstrasse, welche entlang der Debed Schlucht führt. Gewaltige Bergketten, kilometerlange Waldregionen und tiefe Schluchten kennzeichnen diese Region. Über unseren Köpfen kreisen Falken oder Adler, ich bin nicht wirklich gut im Erkennen von Vögeln, aber die gerade oberhalb von uns sind wirklich gross. Wir passieren Städte, welche vom Bergbau und der Industrie geprägt sind. Nach kurzem Nachlesen bei Wikipedia erhalte ich folgende Info: Anscheinend hat diese Gegend in der Zeit der UdSSR floriert, heute sei die Gegend mit Themen der Arbeitslosigkeit und Emigration konfrontiert.

Tschüss Armenien

Es steht die letzte Nacht in Armenien an. Der kleine Kanchaqar Camping bei Haghpat (5000 AMD / 11.3 Euro (2500 AMD/Person)) scheint der richtige Ort für unseren Rückblick zu Armenien zu sein: Ein junger aufgestellter Besitzer, welcher viele Ideen für die Zukunft dieses Ortes hat, aktuell aber immer noch in Yerevan arbeiten muss, um finanziell über die Runden zu kommen, eine grandiose Aussicht über die Gegend, simple aber schön gelegene Picknickplätze auf dem Areal, warme und saubere Duschen und grüne Stellplätze zwischen Obstbäumen und Wildpflanzen.

Bei unserer Einreise in Armenien vor einem Monat, hofften wir auf schöne Naturplätze und Ruhe. Nach mehreren Monate im Iran und auf der arabischen Halbinsel waren wir gefüllt mit Eindrücken, Erlebnissen und Begegnungen. Die vielen sozialen Kontakte liessen uns eintauchen, ermöglichten uns Einblicke in viele Lebensgeschichten und machten unsere Reise tagtäglich zu einem Erlebnis. Dies bedeutete aber auch, sich immer voll und ganz einzulassen mit wenig Zeit, um zu verarbeiten und für sich zu sein. Armenien hiess uns mit Weite, unglaublich satten Grüntönen und viel Natur willkommen. Die Plätze waren oft sehr sauber und wir genossen das Plätschern von Bergbächen, das Zwitschern der Vögel und die frische Luft zum Einatmen. Wir lebten unsere Tage mit viel Gemütlichkeit in angenehmen Wechsel von körperlicher Bewegungen: Wir begannen wieder zu wandern und bestiegen unseren ersten 4000er.

Der Grenzübertritt vom Iran nach Armenien bedeutete aber auch ein rapider Wechsel an Landschaft, Kultur und Geschichte. Ich spürte im ersten Moment viel Wehmut in mir, es fühlte sich an, als verabschiede ich mich bereits jetzt etwas von unserer Reise. Das für mich vorher Unbekannte und Fremdländische wurde zu meinem Alltag und die Begegnungen, so anstrengend es manchmal war, öffneten wie so oft meinen Horizont. Gemischte Gefühle wühlten in meinem Körper und ich kann mich gut an unseren ersten Stellplatz in Armenien an einem Bergbach erinnern. Flo und ich waren hin und weg vom Grün, den Wiesenblumen und dem sauberen Wasser. Am zweiten Tag spazierte uns gegenüber eine Kuhherde vorbei und ich realisierte, wie diese Klänge mich ein bisschen in meine Heimat versetzten. Eine gewisse Ähnlichkeit der Landschaft liess nebst der Neugier auf das Land auch ein Gefühl von „vielleicht ist es Zeit, nach Hause zu gehen“ entstehen: Schöne Berge, grüne Landschaften und grüne Wiesen haben wir auch in der Schweiz. Doch ich bin froh, nahmen wir uns genaue so viel Zeit für dieses Land wie auch sonst.

Die Bauten mit den viereckigen Steinen und den dazwischen gespannten Wäscheleinen faszinierten uns als Fotomotive. Bilder wie wir sie eher aus Filmen kennen und plötzlich sahen wir dies in der Realität vor uns. Wir fragen uns noch jetzt, wie die Menschen, welche von ihren Fenstern das Treiben auf den Strassen beobachten, ihren Lebensunterhalt finanzieren können. Das Einkommen ist sehr tief und im Vergleich dazu erlebten wir das Preisniveau als deutlich höher als angenommen, auch bei den Grundnahrungsmittel. Auch nach einem Monat sind wir nicht wirklich schlauer geworden, wie die Preisgestaltung und das Einkommen aufgehen können. Dafür lernte ich einiges über die Geschichte dazu. War für mich „Berg Karabach“ ein bekanntes Wort jedoch ohne viel Wissen dazu, realisierte ich bei der Reise durch Armenien, in was für komplexen Konfliktsituationen dieses Land steckt und warum die Menschen sagen, wir leben im Krieg.

Weiterhin bewegten wir uns in einer für uns unbekannten Sprache. Dass wir nicht Armenisch können, nahmen die Menschen an, warum wir jedoch kein Russisch können, zeichnete Fragezeichen in ihre Gesichter. Irgendwie haben wir uns einfach nicht im Voraus überlegt, dass unsere Sprachkenntnisse in den Lateinischen Sprachen in dieser Richtung nicht einen einzigen Moment eine Hilfe sein könnte. Doch die Menschen begegneten uns auch ohne grosse Sprachverständigung mit einem netten Lächeln und einer ruhigen Art. Ich erlebte sie als zurückhalten und freundlich. Ihre Zurückhaltung würde ich jedoch nicht als Desinteresse werten, sondern sie liessen einem Raum. Ich bin überzeugt, dass sie interessiert gewesen wären, sich vertiefter auszutauschen und ihre Geschichten und Sichten zu erzählen, doch auch nach dem wir einige Worte in Russisch und Armenisch gelernt haben, reichte dies nicht wirklich viel weiter als für simple Gesprächsinhalte.

Unser Naturjoghurt für das morgendliche Müesli wechselten wir mit Matzoon aus, einem fermetierten Milchprodukt. Wir achteten darauf, mit welcher Milch es hergestellt wurde, um am Morgen nicht einen allzu starken Ziegengeruch beim Öffnen des Deckels einzuatmen. Wobei, so einfach war das teilweise nicht, denn wir können nach wie vor die Schrift nicht lesen. Nicht selten standen wir in den kleinen Einkaufsläden oder auf den Strassen und betrachteten fasziniert die Buchstaben und ernannten sie die „Schnurlischrift“. Als kleines Beispiel für die Sprache und die Schrift auf unserer armenischen Reise: Auf Wiedersehen = Ցտեսություն (tsteessutsjun), Danke = շնորհակալություն (schnorrhakalutsju), wobei wir zum Glück schnell erfuhren, dass „Merci“ auch als Danke genutzt wird, was unsere Leben gleich etwas vereinfachte.

Nebst der vielen Zeit für uns in der Natur begegneten wir nun im Vergleich zu den letzten Monaten wieder vielen Reisenden. Wir genossen es, gemeinsam am Feuer zu sitzen, sich über vergangene Erlebnisse auszutauschen, über die Gedanken und Gefühle des Reisealltags zu sinnieren und seit langem wieder mal ein Glas Wein oder ein kühles Bier zu trinken. Vielleicht bis bald nochmals in Georgien?

Übernachtungsorte: 25.06. Umgebung Arevatsag Canyon/ 26.06. Kanchaqar Camping, Haghpat

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