Türkei, Gastfreundschaft

Datum: 04. Januar – 05. Januar 2022

Angenommene Einladung

Wir sitzen in einer kleinen Pizzeria am Stadtrand von Sanliurfa, beide etwas aufgeregt. Gestern haben wir uns bei den vier jungen Männern, welche wir in Sanliurfa kennengelernt haben, gemeldet und ihre Einladung in ihr Dorf und ihr Zuhause freudig angenommen. Etwa in einer halben Stunde werden wir sie treffen. Die Vorfreude ist gross, die Unsicherheit, wie wir auch höfliche und gerngesehene Gäste sein können, auch. In einer Baklavaria haben wir uns beraten lassen und so ein Gastgeschenk mit dabei.

Und dann stoppt ein weisses Auto, fünf junge Männer, vier davon uns schon bekannt, kommen mit einem grossen Lächeln auf uns zu. Die Freude, sich wiederzusehen, scheint gegenseitig gross zu sein. Wir fahren ihnen nach, mittlerweile ist es dunkel geworden, es ist etwa 18:00 Uhr als wir im Dorf ankommen.

Aladdin (dies ist sein Spitzname), seine Familie und mehrere seiner Cousins sind da. Einige begrüssen uns schon bei der Einfahrt zum Haus mit einem liebevollen Lächeln und Winken – Schuhe ausziehen und eintreten in den gemütlichen Raum ihres Hauses. Der Boden in diesem Raum besteht aus einem schön gemusterten hellen Teppich, rundherum mit passend bezogenen Polstern. Der Raum ist warm, es scheint ein helles Licht, leise läuft der Fernseher im Hintergrund. Uns werden sofort noch Matten hingelegt, damit wir auch sicher bequem sitzen. Wir werden Aladdins Mutter, Vater und zwei von seinen Schwestern vorgestellt. Laufend kommen weitere Verwandte und Freunde in den Raum, begrüssen uns, gewisse bleiben andere verabschieden sich irgendwann wieder. Dies wird ein fortlaufender Bestandteil unseres Alltags hier sein. Immer wieder werden neue Menschen vorbeikommen, uns vorgestellt und Gespräche geführt. Ich bin beeindruckt, wie die Familie mit all diesen Gästen es schafft, fortlaufend frischen Tee und Leckereien bereit zu haben.

Schon bald ist das Nachtessen bereit. Eine Art Teppich wird ausgerollt und darauf die Speisen schön angerichtet verteilt. Obwohl die Mutter sehr gerne Fleisch aufgetischt hätte, konnte Aladdin sie überzeugen, heute für uns vegetarisch zu kochen.

Noch wissen wir nicht genau, wie alles funktioniert, doch schon nach wenigen Sekunden merken wir, dass wir darauf vertrauen können, dass die gesamte Familie schaut, dass wir uns wohl fühlen und sie uns fortlaufend zeigen und informieren, was als nächstes kommt. Ab jetzt heisst es, einfach mitgehen und kennenlernen. Es folgen sehr schöne und spannende Tage für uns bei der Familie mit einer unglaublichen Herzlichkeit.

Abendliches Zusammensein

Am ersten Abend essen Flo und ich gemeinsam mit den Männern im beschriebenen Raum, dass nächste Abendessen geniesse ich dann mit den Frauen und Flo mit den Männern. Allgemein erlebe ich den Abend als gemütliches Zusammensein unter Frauen und bei Flo unter Männern.

Wir Frauen sind eine kleine Gruppe, bestehend aus zwei von Aladdins Schwestern, seiner Mutter und mir. Manchmal gesellt sich die Grossmutter dazu. Die Grossmutter wechselt oftmals zwischen den verschiedenen Räumen hin- und her. Wir plaudern: Google Translate ist für unsere Frauengruppe sehr wichtig, denn ich lerne zwar in diesen Tagen einige türkische und kurdische Wörter dazu, jedoch reicht dies längst nicht aus für eine Konversation. Wie soll man auch eine Konversation führen, wenn man nur Kuh, Milch, Wasser, Hallo, Danke, Kalt, Warm usw. sagen kann? Etwas später gesellt sich eine Nichte, die im gleichen Dorf wohnt, dazu. Als die Frauen vom jüngsten Bruder erfahren, dass die Männer Flo die typischen Tänze zeigen, ist auch schnell bei uns die Musikbox angeworfen und durch Ausprobieren lerne auch ich erste Schritte. Ich gehe so zwischen 23 und 24 Uhr schlafen, Flos Abend dauern bis tief in die Nacht hinein.

Die Männerrunden sind viel grösser, von Flo weiss ich, dass sich fortlaufend weitere Verwandte und Freunde bei ihnen dazugesellen. Es wird viel diskutiert und zusammen besprochen. Auch bei Flo ist Google Translate eine Unterstützung, doch viele Gespräche können auch auf Englisch oder Deutsch, manchmal sogar auf Französisch geführt werden. Fast alle jungen Männer arbeiten während den Frühlings- bis zu den Herbstmonaten im Tourismusbereich an der türkischen Riviera. Meist bringen sie sich selbst und gegenseitig die Fremdsprachen bei, teilweise besuchen sie, wenn möglich, noch einen Sprachkurs. Covid-19 gefährdet diese Arbeitsstellen und so eine wichtige Einkommensquelle für viele Menschen.

Am ersten Abend, als sowohl Flo wie auch ich mitteilen, dass wir in unserem Bus schlafen, stösst dies im ersten Moment auf Verwirrung und Unsicherheit bei unseren Gastgebenden. Als gute Gastgebende ist es für sie wichtig, uns einen schönen und gemütlichen Schlafplatz im Haus zu offerieren. Mit einigen Erklärungen scheinen sie uns zu glauben, dass wir nicht ihr Angebot ablehnen, sondern unser Bus unser Zuhause ist und wir deshalb dort drin schlafen möchten.

Der Start in den Tag

Morgens empfangen uns Sonnenstrahlen. Vor unserem Bus watscheln Truthähne, Gänse und Hühner. Sie sind schon etwas länger auf als wir. Ach ja, einer dieser Truthäne wird heute geschlachtet und als Nachtessen sorgfältig für uns zu bereitet.

Ich erhalte Einblick in die morgendlichen Tätigkeit der beiden Schwestern und der Mutter. Beim Kuh melken werde ich schnell eingeführt, jedoch erfolglos. Ich schaffe es nicht, die Kuh zu melken, getraue mich auch nicht wirklich, es länger zu versuchen, habe ich nach wie vor Respekt vor Kühen. Diese Geschichte gelangt bis zu den Ohren der Grossmutter, was sie sehr amüsiert ;). Einen Raum neben an darf ich mich bei der Herstellung der leckeren Gözleme für das Frühstück dazugesellen. Ich sag es euch, die Gözleme waren so lecker!

Gleichzeitig bereitet die ältere der beiden Schwester im Haus schon das weitere Frühstück vor und kaum betreten wir das Haus, wird der Teppich ausgerollt und die leckeren Speisen aufgetischt.

Sonnenschein und Mandelbäume

Schon am Abend zuvor hat Aladdin Flo informiert, dass wir voraussichtlich am nächsten Tag Mandelbäume pflanzen werden. Nie ganz sicher, ob wir alles korrekt verstehen, starten wir in den Tag, unsicher, ob Flo es richtig verstanden hat oder ob es ein Witz war. Interessieren würde es uns.

Noch vor dem Frühstück werden wir vom Vater begrüsst und er zeigt uns die zu pflanzenden Mandelbäumstauden. Er spaziert mit Flo durchs Dorf, zeigt auf die Felder und stellt ihn weiteren Männern im Dorf vor. Ich denke, wir werden heute wirklich Mandelbäume pflanzen. Und so ist es dann auch.

Elf junge Männer, der Vater, eine der Schwestern, Flo und ich gehen los Richtung Feld. Die Schwester vertraut mir an, dass sie nur mitgeht, weil ich auch dabei bin. Ich freue mich, können wir gemeinsam mit dabei sein und können so gemeinsam Zeit verbringen. Nach nur kurzer Zeit lässt mich der Vater den Traktor fahren und ich darf dies tun, bis wir alle Stauden auf dem Feld verteilt haben. Ich bin gerührt, dass dieses Vertrauen da ist.

Nebst dem Bepflanzen des Feldes (wir schaffen es leider nicht ganz fertig) informierten sie uns jeweils noch über weitere Aktivitäten, welche wir machen werden. Wir beide denken, dies wird niemals reichen in dieser Zeit. Doch sie behalten recht, wir machen alles, was sie angetönt haben: Mandelbäume pflanzen, Zeit geniessen, verschiedene Gerichte essen, Fussball spielen, Fischen, den Nemrut Dagi anschauen und ein Gewächshaus mit Paprikas besichtigen.

Den Nemrut Dagi sehen wir aufgrund des Wetters nicht, doch ein Ausblick über den Stausee wie der Besuch des Gewächshaus sind mit dabei bei diesem Ausflug. Aufgrund der kalten Temperaturen im Winter beinhaltet das Gewächshaus mehrere Öfen. Die beiden Brüder, welchen es gehört, stehen mehrmals in der Nacht auf, um die Temperatur so für die Pflanzen halten zu können.

Respektvoller Umgang

Was uns beiden sofort auffällt und beeindruckt ist der respektvolle Umgang untereinander. Kommt ein wichtiger Gast, ich beschreibe es mal als Ehrengast, stehen alle sofort für die Begrüssung auf. Flo erzählt mir, dass in der Männerrunde, wenn er aufstand, dies auch gemacht wurde. Als er mitteilte, dass sie dies nicht machen müssen, es ihm fast unangenehm ist, erklären sie ihm, dass es ihnen wichtig sei aus Respekt für seinen Besuch.

Wenn ein Besuch, welcher zum Beispiel studiert, viel gesehen oder älter und somit viel Lebenserfahrung hat, etwas erzählt, ist es jeweils ganz ruhig im Raum, es wird eine aufrechte Sitzhaltung eingenommen und den Erzählungen gelauscht. Ich kann es nicht so gut beschreiben, aber es entsteht eine sehr respektvolle und ehrvolle Atmosphäre.

Aber auch wenn Treffen weniger „formell“ sind, erleben wir den Umgang als sehr liebevoll, herzlich und gastfreundlich.

Abschied nehmen

Flo und ich werden sehr viel aus diesem Besuch mitnehmen und sind der Familie und ihrer gesamten Umgebung unglaublich dankbar. Trotz der mehrmaligen Nachfrage verschiedener Familienmitglieder, ob wir unseren Aufenthalt nicht zum Beispiel um zehn Tage oder mehr verlängern wollen, verabschieden wir uns nach zwei Nächsten und drei Tagen. Der Abschied fällt uns nicht leicht, doch unsere Reise geht noch etwas weiter.

Natürlich schaut die Familie auch heute, dass wir gut für unsere Weiterreise eingedeckt sind und gibt uns 5kg selbstgemachtes Joghurt, mehrere Paprikas und einen ganzen Sack Mandeln mit. Zum Abschied sind viele Menschen versammelt, um uns Tschüss zu sagen. Für das weitere Glück unseres Weges bekommt unser Mitsu einen Schale mit Wasser ab.

Wir würden uns sehr freuen, wenn wir diese Menschen, die unser Herz im Sturm erobert haben, irgendwo, irgendwann wieder sehen würden. Sollten wir mal für den Einen oder Anderen Gastgebende sein können, hoffen wir, dass wir mit der gleichen Herzlichkeit und Selbstverständlichkeit sie als Gast begrüssen. Vielen Dank! Gelek Spas!

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